cw-Wert, Leistung und Endgeschwindigkeit

Grundlagen

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Leistung und Endgeschwindigkeit eines Fahrzeuges. Um darauf zu kommen, muss man nicht genial sein. Aber offensichtlich spielt da noch irgendetwas anderes eine Rolle, denn sonst müsste ein VW-Bus mit 100PS ja genau so schnell sein wie ein Golf mit 100 PS. Da dies aber definitiv nicht so ist, könnte man auf die Idee kommen, dass es am Fahrzeuggewicht liegt. Ok, der Bus wird ausgezogen bis aufs Blech, alles fliegt raus (Sitze, Verkleidungen,...) und den Tank fahren wir auch fast leer. Dafür knallen wir den Golf voll bis obenhin. Irgendwann haben wir es geschafft, dass beide Autos gleich schwer sind. Der VW-Bus beschleunigt jetzt besser und der Golf spürbar schlechter als vorher, aber der Golf ist immer noch in der Endgeschwindigkeit viel schneller als der Bus. Naja, der Bus ist halt nicht so windschnittig, und das wird wohl den Unterschied ausmachen.


Strömungswiderstand

Ein Blick ins Physikbuch bestätigt: Der Strömungswiderstand F ist gleich cw*A*ro/2*v², wobei cw der Widerstandsbeiwert, A der Körperquerschnitt, ro die Dichte des strömenden Mediums und v die Geschwindigkeit ist. Deutlich zu erkennen ist also auf den ersten Blick:

1) Der Strömungswiderstand wächst quadratisch mit der Geschwindigkeit (doppelte Geschwindigkeit bedeutet vierfachen Widerstand)!

2) Der Strömungswiderstand hängt nicht nur vom cw-Wert ab, sondern auch von der Fläche des Fahrzeugs!

Punkt 1) erklärt, warum ein Auto mit 200 PS nicht doppelt so schnell fährt wie ein Auto mit 100 PS, und Punkt 2) erklärt, dass die blosse Kenntnis des cw-Wertes keine Aussage über den zu erwartenden Strömungswiderstand zulässt. Der cw-Wert eines LKW's liegt in der selben Grössenordnung wie der eines offenen Cabrios, dennoch hat natürlich der LKW aufgrund seiner Stirnfläche einen vielfach höheren Luftwiderstand.


Strömungsleistung

Kommen wir nun zur Leistung: Diese ist proportional zu dem Produkt aus Widerstand und Geschwindigkeit, da im Widerstand allerdings schon eine Abhängigkeit von v² (s.o.) enthalten ist, beträgt die Proportionalität nun v³! Das bedeutet, dass ich die achtfache (2*2*2) Leistung benötige, um die Geschwindigkeit zu verdoppeln.

Für die Strömungsleistung P gilt also: P = cw*A*ro/2*v³

Nun ist es so, dass sich der Gesamtfahrwiderstand eines Autos nicht nur aus dem Luftwiderstand ergibt, es kommen noch diverse andere Reibungen hinzu (Reifen auf Strasse, Radlager, ...). Aber der Luftwiderstand stellt den grössten Brocken dar, so dass die anderen Punkte für viele Betrachtungen getrost vernachlässigt werden können.


Wie schnell wäre mein Auto ohne Abregelung?

Manch einer mag sich das fragen, dem die freiwillige Selbstbeschränkung bei 250km/h, eine verfehlte Unternehmenspolitik bei 240km/h (schöne Grüsse an alle frühen 540i- und 740i-Fahrer) oder das einzige, was an diesem "Auto" wirklich smart ist, bei 130km/h den Hahn zudreht. Nachfolgend stelle ich ein Verfahren vor, mit dem die theoretische Endgeschwindigkeit mit einem Fehler von einigen Prozent zu berechnen ist. Am Beispiel mache ich das mal für den allseits beliebten Fünfer E39.

Dazu braucht man die Endgeschwindigkeiten und Leistungsdaten möglichst vieler gleicher Fahrzeuge ohne Abregelung. Aus diesen wird dann die Konstante c=cw*A*ro/2 berechnet. Die Formel Pmax = cw*A*ro/2*vmax³ = c*vmax³ ist für abgeregelte Fahrzeuge nicht gültig, da P nicht Pmax ist (weil sie halt gedrosselt wird). Mit dem berechneten c und der bekannten Pmax wird aus Pmax = c*vmax³ --> vmax = (Pmax/c)^(1/3). Falls da jemand mit dem Hoch-ein-Drittel Probleme hat: Das ist das gleiche wie dritte-Wurzel-aus, was sich aber mit den vorhandenen Zeichen nicht elegant formelmässig schreiben lässt.

Die untenstehende Tabelle ist folgendermaßen zu interpretieren:
Für jede Gruppe (Kombination Benzin/Diesel bzw. Schaltung/Automatik) sind die bekannten Eckdaten Leistung (Pmax) und Endgeschwindigkeit (vmax) angegeben. Daraus wird dann zunächst für jedes nicht abgeregelte Fahrzeug der Faktor c berechnet. Offenbar gibt es da drei verschiedene: Einen für die Benziner mit Schalter, einen für die Benziner mit Automatik und einen für die Diesel (egal mit welchem Getriebe). Fragt mich jetzt aber nicht, warum das so ist. Das hängt sicher auch mit dem merkwürdigen und bisher ungeklärten Phänomen zusammen, dass die Diesel mit Automatik so schnell sind wie die Schalter. Zurück zu den Faktoren. Für jede dieser Gruppen wird dann also ein Mittelwert als repräsentativer Faktor gebildet. Damit wird wieder rückwärts auf die Endgeschwindigkeit gerechnet, diesmal aber auch für die abgeregelten Kandidaten. Wie sich anhand der so berechneten Werte zeigt, ist die Abweichung zwischen berechneter und tatsächlich erreichter vmax für die "offenen" Fahrzeuge sehr gering. Das soll aber nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass auch die Ergebnisse für die abgeregelten Autos einen ähnlich geringen Fehler aufweisen. Das Ergebnis ist lediglich als Hausnummer zu betrachten, mehr nicht! Es zeigt sich also, dass die Abregelung des 530i eher dem Ego des Fahrers dient, zu dem erlesenen Kreis der durch die böse Autoindustrie Zwangskastrierten zu gehören, die ja noch viel schneller könnten, wenn man sie nur liesse :-) Vielleicht soll es auch verhindern, dass er bei Rückenwind einen M5 überholt, dessen Fahrer sich dann zu Recht die Frage stellen würde, warum sein Auto eigentlich doppelt so teuer war. Bleiben wir aber beim Thema... ähnlich verhält es sich beim 535i, dem würdigen Nachfolger des E34 530i V8 (den brauchte auch wirklich niemand). Auch er wäre nicht nennenswert schneller. Anders hingegen beim 540i mit 270 km/h und natürlich erst recht beim M5. Mein Gefühl sagt mir allerdings, dass der M5 die 300 km/h-Schallmauer nicht wirklich packen würde. Ähnlich motorisierte Porsche schaffen das gerade eben, allerdings bei einem bauartbedingt deutlich geringeren Luftwiderstand.



Welche Endgeschwindigkeit erreiche ich mit einer Leistungssteigerung?

Eigentlich steht schon alles oben in der Formel. Erhöhung der Leistung um x bringt Erhöhung der Endgeschwindigkeit um y

x y
1% 0,3%
3% 1,0%
5% 1,6%
10% 3,2%
20% 6%
50% 14%
100% 26%
200% 44%

Beispiel: Der 530i wird um 10% leistungsgesteigert, hat dann 254 PS und fährt ca. 259km/h. Natürlich nur theoretisch.
Um prinzipiell die theoretische neue Endgeschwindigkeit zu erhalten, benutze man nachfolgende Formel:

vmax(neu) = vmax(alt) * (Pmax(neu)/Pmax(alt))^(1/3)

Nochmal Schritt für Schritt für alle Normalmathematiker:
1) Neue Leistung durch alte Leistung teilen (dabei ist es egal, ob man PS oder kW benutzt, es muss nur durchgängig dieselbe Einheit gewählt werden)
2) Aus diesem Wert die dritte Wurzel ziehen (Achtung: dritte Wurzel bedeutet nicht: zweimal auf die Wurzeltaste drücken, das wäre die vierte Wurzel! Viele Taschenrechner können die dritte Wurzel einfach nicht berechnen. Eventuell Umweg über Hoch-ein-Drittel-Trick versuchen, kann aber auch nicht jeder Rechner.)
3) Die alte Geschwindigkleit mit dem Ergebnis multiplizieren.

Beispiel:
1) 254 PS / 231 PS = 1,1
2) dritte Wurzel aus 1,1 = 1,032
3) 251 km/h * 1,032 = 259 km/h

Ist doch gar nicht so schwer...


Testfragen Wer sich mal testen will, kann das hier tun, Antworten stehen weiter unten.

A) Um wieviel Prozent erhöht sich die Endgeschwindigkeit bei Verdoppelung der Motorleistung?
B) Richtig oder falsch? Ein Porsche mit 400 PS ist schneller als ein BMW M5 mit 400 PS, weil der Porsche einen kleineren cw-Wert hat.
C) Richtig oder falsch? Der cw-Wert hat die physikalische Einheit (km^3/(PS*h^3)).
D) Richtig oder falsch? Der Luftwiderstand wächst quadratisch mit der Geschwindigkeit.
E) Ist das möglich? Ein Frontspoiler verringert den cw-Wert, aber trotzdem wird die Endgeschwindigkeit nicht grösser.
F) Richtig oder falsch? Generell gilt: Eine Leistungssteigerung um 23PS erhöht die Endgeschwindigkeit um 8 km/h.
G) Richtig oder falsch? Wenn ich den cw-Wert um 50% erhöhe und gleichzeitig die Stirnfläche des Fahrzeugs (A) halbiere, dann bleibt die Endgeschwindigkeit konstant.














Antworten

A) Um 26%

B) Falsch! Der cw-Wert ist nicht ausschlaggebend, da er bei beiden Fahrzeugen ungefähr gleich ist, aber der Porsche hat aufgrund seiner kleineren Stirnfläche den geringeren Luftwiderstand.

C) Falsch! Der cw-Wert ist einheitenlos. Der Faktor c, der für cw*A*ro/2 steht, hat die Einheit (km^3/(PS*h^3)). Diesen Faktor habe ich für diese Berechnung "erfunden" (vielleicht hätte ich ihn anders nennen sollen, es ist zugegebenrmassen leicht verwirrend), damit man sich die Umrechnung in die offiziellen SI-Einheiten Meter, Sekunde und Watt sowie die Aufschlüsselung in Fläche, Dichte und cw spart. Den cw-Wert hingegen gibt's wirklich...

D) Richtig! Der Widerstand, also die (Brems-)Kraft, wächst quadratisch, die Leistung hingegen wächst kubisch (=hoch drei).

E) Ja! Wenn er dabei die Stirnfläche des Fahrzeuges vergrössert, was ja in den meisten Fällen der Fall ist. Es kann sogar so weit gehen, dass das Auto mit Spoiler deutlich langsamer wird. Im Motorsport werden Frontspoiler vorwiegend dazu genutzt, den Anpressdruck auf die Vorderräder zu erhöhen, was höhere Kurvengeschindgkeiten zulässt und auch bei hohem Tempo für Sicherheit sorgt (es sei denn, man fährt CLK-GTR, aber das ist ein anderes Thema). Es ist also der Kompromiss zwischen macht-das-Auto-in-der-Kurve-schnell und versaut-mir-die-Endgeschwindigkeit zu finden.

F) Falsch! Es gibt zwar (unendlich) viele Kombinationen aus Leistung und Endgeschwindgkeit, bei der 23 Mehr-PS zu 8 km/h höherer Endgeschindigkeit führen, und eine davon habe ich oben in dem Beispiel verwendet, als generelle Aussage stimmt das aber nicht. Hier noch ein Beispiel: Leistungssteigerung von 89PS auf 112PS, Endgeschwindigkeit von 100km/h auf 108km/h. Gegenbeispiel: Leistungssteigerung von 136PS auf 159PS bringt 11km/h von 199km/h auf 210km/h.

G) Falsch! Die Endgeschwindigkeit erhöht sich um 10%. Warum das? Nun, betrachten wir die Formel P = cw*A*ro/2*v³ und lösen sie nach der Geschwindigkeit auf: v = (2*P/(cw*A*ro))^(1/3). Interessant ist das Produkt aus cw und A. Dies wird nun zu 1,5*cw*0,5*A = 0,75*cw*A. Um den alten und den neuen Zustand in Relation zueinander zu setzen, muss ich den Faktor 0,75 aus dem Nenner der Wurzel bekommen, also bilde ich den Kehrwert (1/0,75 = 1,33) und ziehe ich ihn vor die Wurzel (1,33^(1/3) = 1,1). Dann steht da v(neu) = 1,1*v(alt), also erhöht sich die Geschwindigkeit um 10%. Ich bin mir sicher, dass ich spätestens jetzt den meisten Lesern etwas viel abverlange, deswegen nochmal ein leicht verständliches Beispiel: Ich habe eine gepflasterte Terrasse, die ist 2m * 2m. Nun reduziere ich die eine Seitenlänge um 50% und erhöhe die andere um 50% (genau wie oben in dem Beispiel). Meine neue Terrasse ist dann 0,5*2m*1,5*2m = 0,75*2m*2m = 3qm gross. Vorher war sie aber 4qm gross. Übertragen auf das Autobeispiel heisst das: Wenn ich die Fläche halbiere, muss ich den cw-Wert verdoppeln, damit die Endgeschwindigkeit konstant bleibt. Das war jetzt hoffentlich verständlich.


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